randschau 2/98: queer
(Juni 1998)
 

Magazinmeldungen:

Pflegeversicherung: Neue Grundsatzurteile des Landessozialgerichts des Saarlandes

Anfang des Jahres hat das Landessozialgericht des Saarlandes drei Grundsatzurteile gefällt, nach denen die Beaufsichtigung zum täglichen Pflegebedarf gehört.
Einer von vielen Kritikpunkten an der Pflegeversicherung, die insbesondere von der Lebenshilfe e. V. bezüglich Menschen mit geistiger Behinderung immer wieder vorgebracht wurde, war die Nichtberücksichtigung der Beaufsichtigungszeit bei der Berechnung des erforderlichen Pflegeaufwandes.
Sollte das Bundessozialgericht demnächst der Rechtssprechung aus Saarbrücken folgen, so würde dieser Kritikpunkt wegfallen und viele Menschen mit einer geistigen Behinderung könnten in eine höhere Pflegestufe eingeordnet werden.
In der Urteilsbegründung aus Saarbrücken heißt es, daß die Beaufsichtigung eines Pflegebedürftigen zwar nicht zu den im Gesetz aufgezählten Verrichtungen gehöre, aber notwendige Grundlage dafür sei, daß die dort genannten "Maßnahmen" überhaupt sinnvoll und ungestört vorgenommen werden können. Deshalb seien diese Zeiten auch bei
der Berücksichtigung der Pflege zu berücksichtigen.
In einem weiteren Urteil erhöhten die Richter bei einer Frau die in der Ausführungsbestimmung des Pflegeversicherungsgesetzes festgelegte Zeit, welche für die Hilfe bei der Nahrungsaufnahme vorgesehen ist (für Frühstück und Abendessen jeweils 15 Minuten, für das Mittagessen 25 Minuten) um jeweils 15 Minuten, so daß eine Einordnung in eine höhere Pflegestufe erfolgen kann. Zur Begründung heißt es, daß bei älteren Menschen die Nahrungsaufnahme nicht von Eile geprägt ist. Deshalb müsse der Zeitaufwand großzügig eingeschätzt werden, wenn eine Mahlzeit nicht zum Mästvorgang verkommen solle. Auch dieses Urteil, das grundsätzliche Bedeutung für die Berechnung der "Pflegedauer" hat, muß vom Bundessozialgericht bestätigt werden

 

Verfassungsbeschwerde gegen das Kölner Urteil

Gegen das im Januar 1998 bekanntgewordene sog. Maulkorburteil des Oberlandesgerichts Köln (vgl. randschau 1/98) hat Prof. Bodo Pieroth aus Münster mit Datum vom 13.2.98 Verfassungsbeschwerde eingelegt. Der ca. 40seitige Text kann über die Internet-Adresse des Marburger Vereins "Behinderte in Gesellschaft und Beruf e. V." http://www.bigub.com/diskrim/koeln abgerufen werden.

 

Neue Zeitschrift: BIOSKOP

BioSkop e. V., das Forum zur Beobachtung der Biowissenschaften und ihrer Technologien, hat im März – abgesehen von der Nullnummer, die im Dezember erschien – die erste Ausgabe der gleichnamigen Zeitschrift herausgebracht. Neben dem Schwerpunkt "Euthanasie international" gibt es Artikel zur Bioethik-Konvention, Experimenten an Menschen, zum "mutmaßlichen Willen" und zur Transplantationsmedizin. Die sehr zu empfehlende Zeitschrift soll viermal jährlich erscheinen und ist zu beziehen bei BioSkop e. V., Grendplatz 4, 45276 Essen, Tel. 0201/512647, Fax: 0201/519792.



Niederlande: Euthanasie an Menschen mit einer geistigen Behinderung

Nach einem Bericht der Deutschen Presse-Agentur (dpa) vom 2. Februar 1998 wird bei 40% aller geistig behinderten Menschen, die jährlich in den Niederlanden sterben, der Tod durch einen Mediziner herbeigeführt. Oft seien Kinder betroffen, denen Eltern und ÄrztInnen einen "langen Leidensweg ersparen" wollen.
(Quelle: BioSkop 1/98)


Euthanasiepräparat als Schutz vor Euthanasie

Anfang letzten Jahres hatte das Europäische Patentamt der US-amerikanischen Michigan State University den Erfindungsschutz auf eine sogenannte "Zusammensetzung für Euthanasie" erteilt, wobei die US-Universität die Anwendung des Präparats an Menschen ausdrücklich nicht ausgeschlossen haben (vgl. randschau 1/97). Der Pressesprecher des Europäischen Patentamts Rainer Osterwalder verteidigte seine Behörde gegen Proteste und erklärte, daß ein Patent nicht mit einer Betriebserlaubnis zu verwechseln sei und verwies darauf, daß die Verwendung des Präparats jeweils vom nationalen Gesetzgeber bestimmt werde.
Gegen die Patenterteilung hatte der Bundestagsabgeordnete Hubert Hüppe Einspruch eingelegt, da diese seiner Ansicht nach gegen die guten Sitten und gegen die öffentliche Ordnung verstoße. Im Oktober 1997 hat nun die US-Universität als Patentinhaberin ihre Erwiderung gegen den Einspruch vorgelegt: Darin wird nicht bestritten, daß ihr Patent auch die Anwendung der Giftmischung an Menschen umfaßt. Man wolle, so die Verfasser des Papiers, die Lizenzen ausschließlich für die Anwendung an Tieren vergeben. Die Aufrechterhaltung des Patents, die es der Universität erlaubt, das Patent 20 Jahre lang alleine zu vermarkten, sei die Garantie dafür, daß keine andere Firma das Giftmittel zur Tötung von Menschen einsetzt.
(Quelle: Jungle World, 1.4.98)

 

Neuigkeiten aus dem Hessischen Koordinationsbüro für behinderte Frauen in Kassel

Kontakt und weitere Informationen beim Hessischen Koordinationsbüro für behinderte Frauen, Jordanstr. 5, 34117 Kassel, Tel. 0561/72885-22, Fax: 0561/72885-29

 

Fotoausstellung "Geschlecht: Behindert – Merkmal: Frau"

Das Ganzheitliche Bildungs- und Beratungszentrum zur Förderung und Integration behinderter Frauen e. V. (BiBeZ) aus Heidelberg hat die randschau gebeten, auf ihre Ausstellung mit oben genannten Titel aufmerksam zu machen. Intention dieses Projektes ist es, der Verdinglichung von Menschen – bzw. hier: von Frauen – mit einer Behinderung entgegenzuwirken und den Scheinwerfer auf das Geschlecht zu werfen. Die Fotos wollen zu einer Auseinandersetzung mit der "nichtbehinderten" Perspektive anregen und deutlich machen, daß Frauen mit einer Behinderung durchaus schön sein und eine erotische Ausstrahlung haben (können).
Die Ausstellung, welche eine der wichtigsten Einnahmequellen der Beratungsstelle für Frauen mit Behinderungen und chronischen Krankheiten ist, kann ausgeliehen werden. Weitere Informationen: BiBeZ e. V., Alte Eppelheimer Str. 38, 69115 Heidelberg, Tel./Fax: 06221/600908

 

Dokumentation: "Behinderte Frauen im Frauenzentrum"

Das Frauenzentrum Mainz hat es sich zur Aufgabe gemacht, für alle Frauen offen zu sein, d. h. auch für behinderte Frauen und Mädchen, und dokumentiert mit einer 80seitigen Broschüre den (langen) Weg der Mitarbeiterinnen von Frauenzentrum und -notruf mit diesem Thema hin zur Barrierefreiheit. Darüber hinaus finden sich im diesem Heft verschiedene Aufsätze behinderter und nichtbehinderter Autorinnen zu den Themen "Lebenssituation von behinderten Frauen", "Gewalt an behinderten Frauen und Mädchen", "Schönheit als Norm" und "Geistig behinderte Frauen" sowie der Bericht einer von Gewalt betroffenen behinderten Frau.
Die Dokumentation ist für 10.-- DM erhältlich beim Frauenzentrum Mainz, Waldpodenstr. 10 55116 Mainz, Tel. 06131/221263, Fax: 06131/229222.

 

Immer wahllosere Kürzungen im sozialen Bereich

Das im März diskutierte Vorhaben, den gesetzlich vorgeschriebenen Anteil der Pflegefachkräfte am Personal zu verringern bzw. sogar zu streichen, zeigt, wie skrupellos inzwischen vorgegangen wird, um Geld einzusparen. Die Folge von dieser Maßnahme wäre eine (weitere) die Verschlechterung der Mindeststandards in stationären Einrichtungen, insbesondere der ohnehin vielerorts schon mangelhaften Pflegequalität. Betroffen wären vor allem alte Menschen.
Wäre es m. E. im Behindertenbereich sogar noch zu überlegen, Pflegefachkräfte durch anderes Fachpersonal zu ersetzen, so wird eine solche Diskussion durch die Rasenmäherpolitik der Bundesregierung verunmöglicht.

 

Krankenkassen verweigern Hilfsmittel

Pflegebedürftigen Personen in stationären Einrichtungen wird im zunehmenden Maße die Kostenübernahme von Hilfsmitteln verweigert. Die Krankenkassen begründen dies damit, daß jene Hilfsmittel zur Ausstattung der Einrichtungen gehörten bzw. in einem Fall damit, daß das vom Arzt verordnete Hilfsmittel nur der Entlastung des Pflegepersonals diene. Eine Betriebskrankenkasse verstieg sich bei der Ablehnung der Kostenübernahme für einen Rollstuhl sogar zu folgender Aussage: "Die aktive Teilnahme am gesellschaftlichen Leben eines bedauernswert kranken Menschen, der bei deutlichen Orientierungsstörungen die Umwelt nicht mehr wahrnimmt, kann hier nur aussichtslos zur Diskussion stehen."
Die Ablehnungspraxis der Krankenkassen ist eine eindeutige Schlechterbehandlung von Menschen in Pflegeheimen gegenüber Daheimlebenden (die diese Probleme in dem Maße nicht haben) und stellt nach Meinung der Arbeiterwohlfahrt einen eindeutigen Rechtsbruch dar.
(Quelle: AWO-Magazin 3/98)

 

Bundesweite verbandsübergreifende Aktion: "Straße der Menschenrechtsverletzungen"

Tagtäglich erfahren in Deutschland Menschen mit Behinderungen, die auf Assistenz (Pflege und andere Hilfeleistungen) angewiesen sind, Benachteiligungen und Ausgrenzungen. Sie müssen oft die existentiell benötigten Hilfen in einem zähen Kampf mit Kostenträgern wie Sozialämtern und Pflegekassen erstreiten oder sind gar von Zwangseinweisungen in Anstalten bedroht. Dieses Ringen um ein selbstbestimmtes Leben als gleichberechtigte Mitglieder unserer Gesellschaft ist in höchstem Maße menschenunwürdig und diskriminierend.
Daher ruft ein breites Bündnis aus verschiedenen Gruppen und Initiativen (Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland – ISL e.V., Forum selbstbestimmter Assistenz behinderter Menschen e.V., Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter – BSK, Netzwerk Artikel 3, u. a.) am 30. Mai 1998 zu einer Aktion "Straße der Menschenrechtsverletzungen" auf, um einerseits die alltäglichen und meist unbekannten Menschenrechtsverletzungen behinderter Menschen in diesem Bereich aufzuzeigen und andererseits auf einer anschließenden Kundgebung Alternativen zur Unterstützung einer selbstbestimmten Lebensführung darzustellen. Treffpunkt ist um 11.30 Uhr am Kasseler Rathaus, um 12.00 Uhr wird eine Kundgebung auf dem Königsplatz stattfinden. Nähere Informationen bei ISL e.V., Jordanstr. 5, 34117 Kassel Tel. 0561/72885-46, fax: 0561/72885-29 E-Mail: Miles-Paul@asco.nev.sub.de

 

Bundestagswahl: Behindertenszene rüstet sich

Auch in der Behindertenszene wirft die Bundestagswahl seine Schatten voraus.

Weitere Informationen beim Netzwerk Artikel 3, Liebstöckelweg 14, 13503 Berlin, Tel. 030/4364441, fax: 030/4364442,
E-Mail: HGH-SI@t-online.de

 

Informationssystem in Münster

Eine Art Stadtführer für behinderte Menschen in Münster gibt's jetzt im Internet. KOMM (Kommunikations- und Orientierungshilfen für Menschen mit Behinderungen in Münster) bündelt sowohl Informationen über die Zugänglichkeit von Arztpraxen, Kinos, Kneipen, etc. und enthält auch ein Informationssystem, das Auskunft darüber gibt, wie ein Mensch im Rollstuhl am günstigsten von A nach B kommt.
Bisher liegen Informationen nur für die Münsteraner Innenstadt und zwei weitere Stadtteile vor. Wenn das Projekt Ende 1998 abgeschlossen ist, sollen behindertengerechte Einrichtungen im gesamten Stadtgebiet erfaßt sein.
Die Internet-Adresse: www.muenster.de/KOMM/


Stadtführer für RollstuhlfahrerInnen

Für die baden-württembergische Landeshauptstadt Stuttgart wurde kürzlich ein Stadtführer für RollstuhlfahrerInnen vorgelegt, der von der Stadt, dem Presse- und Informationsamt, dem Gesundheitsamt, dem Club der Behinderten und ihrer Freunde sowie dem Körperbehinderten-Verein Stuttgart erarbeitet wurde. Er ist in fünf Abschnitte gegliedert (Verwaltung, Verbände, Verkehr / Gesundheit / Kultur, Bildung, Freizeit, Religion / Gastronomie / Handel, Dienstleistung) und enthält zusätzlich Auflistungen von behindertengerechten öffentlichen Telefonzellen, Behindertenparkplätzen und Behindertentoiletten. Der Führer in Ringbindung ist für eine Schutzgebühr von DM 5.-- erhältlich beim Gesundheitsamt (sic!), Bismarckstr. 3, 70176 Stuttgart, Tel. 0711/216-5558

 

Stadtführer für Blinde

Einen Stadtführer für Blinde gibt es jetzt für Heidelberg. Die Texte schildern Fußwege zu wichtigen Objekten aus der Wahrnehmung eines blinden oder sehbehinderten Menschen. Von jeweils einer Haltestelle des ÖPNV werden die 44 Strecken so geschildert, daß der Weg möglichst einfach zu laufen ist und sich an taktil wahrnehmbaren Leitlinien orientiert.
Die Texte sind für jeweils DM 15.-- entweder in Form von 4 Casetten beim Badischen Blindenverein (Augartenstraße 55, 68165 Mannheim, Tel. 0621/402031) erhältlich oder in Großdruck auf 144 Seiten in einem Ringordner beim Verein zur Förderung Sehbehinderter Kurpfalz-Odenwald (c/o Oskar Hofstetter, Bussardweg 20, 69123 Heidelberg, Tel. 06221/7452-0. Auf Wunsch können einzelne Teile vom Badischen Blindenverein in Brailleschrift für 0,50 DM pro Seite ausgedruckt werden.

 

Videotext für Blinde

Seit kurzem können sich Blinde und Sehbehinderte den gemeinsamen Videotext von ARD und ZDF per Telefon anhören, wenn sie ein Telefon mit Tonwahlverfahren haben. Eine künstliche Stimme liest die gewünschten Seiten vor, die über die Tastatur des Telefons angewählt werden können.
Die Telefonnummer für den "Audiotext"-Service lautet: 089-55 98 82 88


Aktuelle Zeitungsinformationen für Blinde und Sehbehinderte

Mit einem neuen Gerät können Blinde und Sehbehinderte Zeitungstexte tagesaktuell hören. Der "NewsReader" empfängt über eine Telefonleitung die Texte der jeweils abonnierten Ausgabe, ein Sprachprozessor liest dann die gewünschten Artikel vor. Momentan können auf diese Weise nur Zeitungen aus der WAZ-Gruppe empfangen werden, in Vorbereitung sind Zeitungen aus Berlin und Frankfurt/M.
Weitere Informationen: Fa. Papemeier-Reha-Technik, Postfach 1620, 58211 Schwerte, Tel. 02304/9460, Fax: 02304/946246

 

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© Martin Seidler
Letzte Aktualisierung: 15.05.2003