Irgendwann kann ich auf dich zugehen und dich berühren*


DanceAbility
- den eigenen Körper (neu) entdecken

Menschen mit einer körperlichen Behinderung haben oft ein problembeladenes Verhältnis zu ihrem Körper oder lehnen ihn völlig ab. Dies hängt damit zusammen, dass sie häufig in Therapien dazu angehalten werden, Bewegungsmuster einzuüben, die ihnen fremd und unangenehm sind , oder auch damit, dass behinderungsbedingte Fehlhaltungen nicht selten zu chronischen Schmerzen führen.

Unter diesen Voraussetzungen ist es für viele schwer vorstellbar, sich auch noch in ihrer Freizeit mit ihrem „ungeliebten“ Körper zu beschäftigen. Dass gerade dies aber auch Spaß machen kann, können alle diejenigen bestätigen, die DanceAbility kennen. Einige von ihnen reden sogar von einem „Virus“, mit dem jede/r „infiziert“ ist, der schon einmal an einem entsprechenden Workshop teilgenommen hat.

Das DanceAbility-Projekt wurde 1987 vom us-amerikanischen Choreographen Alito Alessi mit seinem spastisch behinderten Tanzpartner Emery Blackwell ins Leben gerufen und ist mittlerweile weltweit verbreitet. Regelmäßig leitet Alessi Workshops, in denen Menschen mit verschiedensten körperlichen Fähigkeiten, d. h. Menschen mit und ohne eine Behinderung, zusammenarbeiten.

Die Grundlage von DanceAbility bildet die Contact Improvisation, eine Tanzform, bei der sich zwei oder mehr Menschen je nach ihren Möglichkeiten zusammen bewegen, Gewicht teilen und balancieren, einem gemeinsamen Kontaktpunkt folgen und so miteinander kommunizieren. Dabei kommt es nicht auf die Art der Bewegung, sondern einzig und allein auf deren Qualität an.

Bei dieser intensiven Beschäftigung mit dem eigenen Körper können die Teilnehmenden ihre eigene Bewegungssprache entdecken bzw. weiterentwickeln und finden so zu einem neuen Verhältnis zu ihrem Körper und ihren Bewegungen. Selbst eine Person, die nur Kopf, Hand oder Schulter bewegen kann, ist bei DanceAbility in der Lage, ihren Körper „sprechen“ zu lassen. Eventuell notwendige Hilfsmittel (z. B. ein Rollstuhl) werden nicht als störend betrachtet, sondern in den „Tanz“ miteinbezogen.

Neben dieser damit verbundenen positiven Körpererfahrung hat sich das Tanzprojekt zum Ziel gesetzt, durch das Miteinander von den unterschiedlichsten Menschen Vorurteile und Ausgrenzung abzubauen.

Zum Workshop angemeldet – wie wird es sein?!

Ich habe DanceAbility letztes Jahr bei einem Workshop in Erlangen kennengelernt und war begeistert davon, wie sich mein Körpergefühl verändert hat. Nach dem fünftägigen Kurs nahm ich alle meine Bewegungen viel intensiver wahr, als jemals zuvor, denn im Unterschied zum Alltag, in dem die meisten Bewegungen zweckgeleitet sind, geht es bei DanceAbility darum, Bewegungen (egal welcher Art) zum Selbstzweck auszuführen: Allererste (und eigentlich auch einzige) Priorität hat es, die ganze Konzentration auf die völlig selbstgewählten Bewegungen zu richten und jeder einzelnen davon nachzuspüren. So bestand unsere Aufwärmübung jeden Morgen darin, von einer “konzentrierten” Ruheposition heraus zunächst eine einzelne Bewegung zu machen und sich dabei der Empfindungen bewusst zu werden.

Komme auf mich zu und berühre mich

Je weiter die Woche fortgeschritten ist, desto mehr konzentrierte Bewegungen haben wir in dieser Phase gemacht, wobei wir mit der Zeit auch andere Personen in unsere Bewegungen miteinbezogen und so mit ihnen in (nonverbalen) Kontakt traten. Dabei war bzw. ist es sehr wichtig, sich stets auf die eigene Bewegung zu konzentrieren und den Kontakt mit dem Körper einer bzw. eines anderen nicht mit einer erotischen (= auf die andere Person gerichtete) Berührung zu verwechseln.

Im Folgenden möchte ich einige der sehr interessanten “Übungen” beschreiben, die wir während des Workshops machten:

- Eine Person bewegt sich ganz konzentriert und der/die PartnerIn beobachtet bzw. verfolgt ebenso konzentriert die Bewegungen des anderen.

- Zwei Personen bewegen sich abwechselnd. Während der eine Partner innehält, beobachtet er/sie ganz konzentriert, welche Bewegung(en) der/die andere macht.

- Eine Person nimmt eine bestimmte selbst gewählte Position ein und verharrt in dieser. Eine andere Person betrachtet diese Haltung von verschiedenen Blickwinkeln/Positionen aus. Diese Übung haben wir im Laufe der Woche dahingehend erweitert, dass der beobachtende Partner eine Haltung einnimmt, so dass aus beiden Körpern eine menschliche Skulptur entsteht.

- Alle Mitglieder der Gruppe verteilen sich im Raum, jede/r nimmt eine selbst gewählte Haltung ein, in der er/sie mindestens eine andere Person sehen kann. Eine Person fängt an eine Bewegung zu machen und jede andere Person hat die Möglichkeit, eine andere Haltung einzunehmen, jedoch nur eine solche, die sie im Raum bei einer anderen Person sieht.

- Fünf oder sechs Personen stellen sich nebeneinander, wobei jeder Person eine Nummer zugewiesen wird. Person 1 macht eine oder mehrere Bewegungen, Person 2 bewegt sich, sobald Person 1 still geworden ist bzw. darf nicht aufhören, sich zu bewegen, bevor Person 1 aufgehört hat, sich zu bewegen, und so weiter. Dynamik kommt in die “Reihe” bzw. für Zuschauer interessant wird dies (aber auch alle anderen Übungen), wenn die einzelnen Bewegungen mit unterschiedlicher Geschwindigkeit ausgeführt werden.

- Eine Person verändert die Haltung der anderen Person, indem sie über die Haut streift und an einer bestimmten Stelle “durch die Haut hindurch greift”, damit sich ein Teil des Körpers bewegt.

- Eine Person streicht über die Haut oder “malt” etwas auf die Haut des Partners, die berührte Person setzt diese Empfindung in eine Bewegung um.

- Zwei oder mehr Personen nehmen instabile Haltungen ein und fassen sich so an, dass sie füreinander ein Gegengewicht bilden, ohne sich selbst dabei anzustrengen.

Auch gemeinsam erarbeitete Performances können Teil von DanceAbility sein. So taten wir uns mehrere Male in Gruppen zu drei bis fünf Personen zusammen und überlegten uns bestimmte Grund-Bewegungen, die dann verschieden oft und in verschiedenen Variationen nach einem festgelegten Ablauf wiederholt wurden. Das Vorführen der daraus entstandenen Performances waren die einzigen Situationen, in denen wir unsere Bewegungen nicht aus dem Bauch bzw. aus dem Gefühl heraus machten, sondern vorher überlegte bzw. festgelegte Bewegungsabläufe durchführten.

„Stopp“ sagen können, wenn ich etwas nicht möchte ...

Bei der Körperarbeit mit anderen Menschen ist gegenseitige Achtung und Rücksichtnahme sehr wichtig. Gerade am Anfang eines Workshops muss daher deutlich gemacht werden, dass jede Person das Recht hat, „stopp“ zu sagen, wenn ihr eine „Übung“ bzw. ein Körperkontakt unangenehm wird. Dies muss ohne Wenn und Aber respektiert werden, damit DanceAbility für alle TeilnehmerInnen in positiver Erinnerung bleibt. - Die allgemeine Begeisterung bei den TeilnehmerInnen am Ende des Kurses zeigte, dass dies letztes Jahr gelungen ist.

Wer Interesse bekommen hat, auch einmal an einem DanceAbility-Workshop teilzunehmen oder sogar an der vierwöchigen Schulung für Personen, die selber DanceAbility-Kurse leiten möchten, teilnehmen möchte - sie findet im Juli/August 2003 in Trier statt -, kann sich mit mir in Verbindung setzen oder sich im Internet unter http://www.danceability.com genauer informieren.

Martin Seidler
E-Mail: mail@martinseidler.de

*) Die Überschrift und die Unterüberschriften stammen nicht von mir, sondern von der Redaktion der Zeitschrift "zusammen".


© Martin Seidler
Letzte Aktualisierung: 28.08.2011